Bei einer Unternehmensbewertung stellt sich immer die Frage nach dem Bewertungsgrundsatz. Denn generell kann eine Firmenbewertung aus zwei unterschiedlichen Richtungen angegangen werden. Je nachdem kann man den Fokus auf die Substanz oder den Ertrag einer Firma legen. Dabei fokussiert man sich beim Ertragswert auf die Erfolgsrechnung, wählt eine Renditekennzahl (zum Beispiel: Reingewinn, EBTIDA, EBIT) und wendet einen entsprechenden Kapitalisierungszinssatz an. Beim Substanzwert hingegen rückt die Bilanz des Unternehmens in den Vordergrund. Man nimmt die Aktiven und die Passiven und korrigiert diese um die stillen Reserven und erhält so den tatsächlichen Wert. Dazu wird bei je nach Situation einen Goodwill für immaterielle, nicht-bilanzierte Werte addiert. Zu berücksichtigen ist bei dieser Methode die latente Steuerlast.
Wie bereits eingangs erwähnt, hat der Kapitalisierungszinssatz einen grossen Einfluss auf den Ertragswert. Grundsätzlich sollte jeder Inhaber und jede Inhaberin einer Kapitalgesellschaft – also einer GmbH oder einer AG – mit dem Konzept der Kapitalisierung vertraut sein. Denn das Steueramt greift auf diese Methode zur «Bewertung von Wertpapieren ohne Kurswert» bei der Besteuerung zurück, wenn es um die Bewertung des Reinvermögens geht (Art. 49 StG) geht. Diese Kapitalisierungssätze werden jeweils vom Regierungsrat jährlich bestimmt. So beträgt der Kapitalisierungszinssatz beispielsweise in der Steuerperiode 2020 im Kanton Thurgau 9.5%. In der Praxis wird oft genau dieser Kapitalisierungszinssatz bei der Unternehmensbewertung übernommen, ohne diesen kritisch zu hinterfragen. Dieser so errechnete Unternehmenswert wird dann als Argument in Preisverhandlungen verwendet. Dies führt vielfach zu heftigen Diskussionen da die Differenz zu realen Marktwerten enorm gross ist. Dabei liegt die Ursache oft im fehlenden Verständnis der Herleitung des Kapitalisierungszinssatzes, welches eine sachliche Diskussion darüber nicht ermöglicht.
Aussagekraft des Kapitalisierungszinssatzes
Als Kapitalisierungszinssatz wird die Rendite auf einem Vermögenswert bezeichnet und entspricht dem Ertragsrisiko. Dabei drückt der Kapitalisierungszinssatz das Gesamtrisiko des Unternehmens in einer konkreten Zahl aus. Das Konzept der risikogerechten Entschädigung eines finanziellen Engagements entspricht im Grundsatz dem Wesenszug eines Bankkredits. Sobald der Kreditnehmer über einen sicheren Ertragsstrom (z. B. Einkommen) und über materielle Sicherheiten (z. B. Wertpapiere oder Immobilien) verfügt, dann wird ihm die Bank den Kredit zu einem tieferen Zinssatz gewähren, da das Risiko des Kreditausfalls minim ist.
Dasselbe Prinzip gilt bei der Ertragswertberechnung eines Unternehmens. Je höher und planbarer die Überschüsse bzw. je grösser die Substanz (Eigenkapital) einer Firma sind, umso tiefer liegt das Gesamtrisiko bzw. der Kapitalisierungszinssatz und umso höher ist der Ertragswert. Schon bei dieser Erklärung zeigt sich, dass der Kapitalisierungszinssatz für jedes Unternehmen individuell gewählt werden muss und nicht durch einen kantonalen Pauschalzinssatz ersetzt werden kann. Durch den einzigartigen Mix aus Branche, Grösse, Mitarbeitenden etc. ist jede Firma, sei es ein KMU oder aber ein Grosskonzern, individuell zu betrachten. Daher macht es in der Praxis wenig Sinn, für eine aussagekräftige Unternehmensbewertung einen Pauschalwert anzunehmen.
Die Krux bei der Berechnung des Kapitalisierungszinssatzes
Obwohl das Konzept des Kapitalisierungszinssatzes in der Theorie einleuchtend erscheint, ist die praktische Umsetzung nicht so simpel. Während das Eigenkapital eines Unternehmens weitgehend objektiv berechnet wird, stellt die Berechnung des planbaren Ertragsstroms bzw. der relevanten Renditekennzahl eine grössere Herausforderung dar. Vor allem der Begriff «planbar» erweist sich oft als Knacknuss. Denn die Planbarkeit des Ertragsstroms hängt von zahlreichen Einzelrisiken ab, welche wiederum von einer Vielzahl an Faktoren abhängt. Diese Risiken müssen bei jedem Unternehmen individuell beurteilt und quantifiziert werden. Dabei kommt ein weiterer Faktor ins Spiel. Nicht nur ist die Berechnung der Einzelrisiken komplex, sondern liegt es auch oftmals in den Augen des Betrachters und der eigenen Risikoaversion. Dementsprechend handelt es sich hierbei um keine exakte Wissenschaft, sondern setzen Erfahrung und Branchenkenntnisse voraus.
Wie berechnet man den korrekten Kapitalisierungszinssatz?
Sowohl in der gängigen Fachliteratur als auch vor allem bei den Kreisschreiben der kantonalen Steuerbehörden ist der Kapitalisierungszinssatz in aller Regel als Summe von den folgenden beiden Komponenten definiert:
Kapitalisierungszinssatz = Zinssatz für risikolose Anlagen + Risikoprämie(n)
Diese Formel spiegelt die grundsätzliche Motivation eines jeden Investors wider, mit seiner Investition eine Überrendite erzielen zu wollen. Dabei setzt sich die «Überrendite» aus der Differenz zwischen der Rendite der getätigten Investition und der Rendite einer risikolosen Anlage zusammen. Die risikolose Anlage wird meist mit einer 10-jährigen Bundesobligationen mit erstklassigem Risikoprofil gleichgesetzt. Die vier grossen Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG, PwC, Deloitte und Ernst & Young publizieren regelmässig Kapitalkostenstudien, aus welchen der aktuelle risikofreie Zinssatz des relevanten Markts entnommen werden kann. Gemäss Kapitalkostenstudie 2020 der KPMG belief sich der durchschnittliche in der Schweiz angewandte risikofreie Zinssatz in den letzten Monaten auf -0.3%. Dies, nachdem sich der Zinssatz in den letzten Jahren bei durchschnittlich 1.4% eingependelt hat. Lag der risikofreie Zinssatz 2017/2018 noch bei 1.4%, erhöhte er sich 2018/1019 auf 1.6% und landete 2019/2020 bei 1.2% lag. Daneben gilt es, die Risikoprämie zu bestimmen, welche sich aus der Summe von Renditezuschlägen, welche die Einzelrisiken des Unternehmens abgelten, zusammensetzt:
Risikoprämie = Zuschlag für eingeschränkte Handelbarkeit + Zuschlag für Unternehmensgrösse + Zuschlag für spezifische Unternehmensrisiken
- Zuschlag für eingeschränkte Handelbarkeit: Nicht börsenkotierte Anteile können nicht so schnell veräussert werden wie börsenkotierte Anteile. Sie weisen zudem höhere Transaktionskosten auf. Dieser Nachteil muss durch eine höhere Rendite kompensiert werden. Dabei muss diese eingeschränkte Handelbarkeit der Anteile differenziert betrachtet werden, da es auch unter nicht börsenkotierten Anteilen verschiedene Grade gibt. Für inhabergeführte Klein- und Kleinstunternehmen wird oftmals ein Zuschlag von ein bis drei Prozent angewandt.
- Zuschlag für spezifische Unternehmensrisiken: Jedes Unternehmen weist ein individuelles Risikoprofil auf. Dieses leitet sich einerseits den Marktgegebenheiten ab. Darunter fallen beispielsweise die Marktmacht, die strategische Positionierung, Markteintritts- und Austrittsbarrieren, die Marktgrösse sowie die Marktvolatilität bei Konjunkturschwankungen aber auch rechtliche Aspekte wie Haftungsfragen. Andererseits werden auch firmeninterne Gesichtspunkte wie die Lieferanten- und Kundenstruktur sowie die Wissensverteilung und die Personalstruktur mit dem Risikoprofil (Zum Beispiel die Inhaberabhängigkeit) abgebildet. Damit sollen allfällige Abhängigkeiten von Anspruchsgruppen zum Tragen kommen. Je ungünstiger das Risikoprofil bei dieser Prüfung ausfällt, desto höher muss der Zuschlag angesetzt werden. Grundsätzlich lässt sich der unternehmensspezifische Risikozuschlag am besten durch einen Vergleich mit Daten von tatsächlich realisierten Transaktionen von ähnlichen Firmen schätzen.
Mit kompetenter Unterstützung zum richtigen Kapitalisierungszinssatz
Den Kapitalisierungszinssatzes eines Unternehmens zu bestimmen ist ein aufwendiges Unterfangen, das einer korrekten Berechnung der Renditekennzahl sowie eines korrekten Einbezugs aller relevanten Risiken einer Firma bedarf. Dabei handelt es sich um keine exakte Wissenschaft. Oft ist es zwingend, dass vereinfachende Annahmen getroffen werden bzw. der Einbezug von Wertbandbreiten notwendig ist. Denn eine unkritische Übernahme von fixen Werten ohne Berücksichtigung des Einzelfalls führt zu falschen Ergebnissen und unproduktiven Verhandlungsgesprächen. Daher ist es empfehlenswert für die Bestimmung eines realistischen Kapitalisierungszinssatzes einen Experten zu konsultieren. Dieser kennt aufgrund seiner Erfahrung die Risiken und Gefahren, welche den Ertragswert beeinflussen und kann die Inhaberschaft tatkräftig bei der Bestimmung der Wertbandbreite des Kapitalisierungszinssatzes unterstützen. Daraus kann der Experte nicht nur den effektiven Ertragswert einer Firma ableiten, sondern eine fundierte Aussage über den zu erwartenden Marktpreis des Unternehmens zu tätigen.