Stille Reserven verändern die Bilanzpositionen und werden in Unternehmen oftmals gebildet, um die Steuerlast zu verringern und damit die Liquidität zu schonen. Diese Vorgehensweise ist weit verbreitet und bei Rechnungslegung gemäss OR erlaubt. Schliesslich kann niemand die Zukunft vorhersagen und ein wenig zusätzliche Liquidität sowie ein finanzielles Polster für schwierige Zeiten sind immer vorteilhaft. Doch bei einem Firmenverkauf können die stillen Reserven plötzlich in den Fokus rücken – besonders bei der Unternehmensbewertung. Dementsprechend ist es wichtig zu wissen, wie mit diesem Bilanzposten umgegangen werden muss, damit sich die stillen Reserven nicht als Knackpunkt im Transaktionsprozess erweisen.
Was sind stille Reserven?
Stille Reserven sind ausserbilanzielle Rücklagen oder Bewertungsreserven, die dazu führen, dass das Eigenkapital niedriger als tatsächlich vorhanden ausgewiesen wird. Dadurch erscheint das Unternehmen in der Erfolgsrechnung (verringerte Ertragskraft) und in der Bilanz (niedrigeres Eigenkapital) weniger erfolgreich.
Für die Bildung von stillen Reserven gibt es zwei grundsätzliche Möglichkeiten:
- Unterbewertung von Vermögenswerten (Aktiven)
- Überbewertung von Schulden (Passiven)
Der Schweizer Gesetzgeber hat im Obligationenrecht stille Reserven praktisch unbegrenzt gestattet, da diese das Unternehmen und dessen finanzielle Situation auf mehreren Ebenen stärken:
- Durch die Reduzierung des Gewinns können weniger Gewinnanteile ausgeschüttet werden. Die zurückbehaltenen Gewinne dienen dem Unternehmen als Eigenkapital für Investitionen oder zur Tilgung von Schulden (Selbstfinanzierung).
- Stille Reserven aus profitablen Jahren können in weniger erfolgreichen Jahren aufgelöst werden, was eine ausgeglichene Dividendenpolitik ermöglicht.
- Stille Reserven bieten eine Sicherheitsreserve für schwierige Zeiten. Durch ihre Auflösung können Verluste vermieden werden, was dem Image und letztlich der Kreditwürdigkeit des Unternehmens zugutekommt. Um Geldgeber und Mitarbeiter nicht zu täuschen, müssen Kapitalgesellschaften die Auflösung der stillen Reserven im Anhang ihrer Berichte angeben, wenn diese den ausgewiesenen Erfolg wesentlich beeinflusst hat. Die Revisionsstelle gewährleistet, dass solche Angaben nicht unbeachtet bleiben.
Formen von stillen Reserven
Stille Reserven können auf den unterschiedlichsten Bilanzpositionen gebildet und dann wieder aufgelöst werden. In der Praxis werden stille Reserven bei einigen prädestinierten Positionen eingesetzt.
Stille Reserven beim Warenlager
Das Warenlager stellt oft den grössten Hebel für die Bildung stiller Reserven dar. Es kommt häufig vor, dass Wareneinkäufe in den Materialaufwand gebucht werden, obwohl die Waren noch im Lager liegen. Dadurch erhöht sich der Materialaufwand, während der Ertrag sowie die Position «Warenlager» unterbewertet werden.
Stille Reserven bei den angefangenen Arbeiten
Insbesondere im Projektgeschäft werden die angefangenen Arbeiten bewertet und festgelegt. Hier besteht ein beträchtlicher Spielraum für Unterbewertungen, da die Projektleistung oft nicht tagesaktuell mit dem Aufwand vergütet wird. Vielmehr werden über das Projekt verschiedene Teilzahlungen vereinbart, die flexibel gehalten werden können. Dadurch können bei Bedarf Ertragsströme verzögert werden, obwohl die Leistung bereits erbracht wurde.
Stille Reserven bei der periodengerechten Verbuchung
Oftmals überprüft ein Firmeninhaber gegen Ende eines Geschäftsjahres hin den Erfolg des laufenden Jahres und kann so die absehbaren Steuern eruieren. Insbesondere im Projektgeschäft besteht die Möglichkeit, die Rechnungsstellung oder die Bilanzierung der begonnenen Arbeiten in das neue Jahr zu verschieben. Dadurch wird die fällige Steuerlast durch einen niedrigeren Ertrag reduziert. In den meisten Fällen handelt es sich dabei lediglich um eine Verschiebung der Steuerzahlung und des Ertrags.
Herausforderungen beim Unternehmensverkauf in Bezug auf die stillen Reserven
Sind die stillen Reserven in Bezug auf die Liquiditätsschonung für das Unternehmen und die Reduktion sowie der Verschiebung der Steuerlast auch äusserst effektiv, im Rahmen eines Firmenverkaufs sind diese in den meisten Fällen wenig zielführend, da sie den Unternehmenswert nicht stützen und dadurch einige Herausforderungen verursachen.
Unterbewertung des Unternehmens
Die ausgewiesenen Erträge in den vergangenen Jahresabschlüssen sind um die Veränderung der stillen Reserven reduziert oder erhöht. Ohne genaue und nachvollziehbare Informationen bezüglich der stillen Reserven an den Kaufinteressenten zu liefern, geht dieser verständlicherweise von einer ertragsschwächeren Firma aus. Je nach Bewertungsmethode wird er das Unternehmen dementsprechend bewerten und zweifelsohne bei einem tieferen Kaufpreis landen. Somit müssen die stillen Reserven und deren Veränderung pro Geschäftsjahr offengelegt werden, damit die korrekte Ertragskraft gezeigt werden kann.
Verzerrtes Bilanzbild
Wie bereits dargelegt, werden oftmals Vermögenswerte tiefer sowie Verbindlichkeiten höher ausgewiesen als sie der Realität entsprechen. Dies führt dazu, dass bei der Bildung von stillen Reserven das Eigenkapital niedriger ausgewiesen wird. Dadurch wird die Ausschüttungsfähigkeit des Unternehmens beschnitten resp. reduziert. Im schlimmsten Fall kann dies zu Problemen bei der Sicherstellung einer allfälligen Fremdfinanzierung führen.
Reduzierte Steuerlast
Grundsätzlich reduziert die Bildung von stillen Reserven die Steuerlast. Sollte nun bei einer staatlichen Betriebsprüfung festgestellt werden, dass unverhältnismässig hohe stille Reserven gebildet worden sind, dann ist ggfs. die Steuerlast plus Verzugszinszuschlag rückwirkend fällig.
Stille Reserven beim Firmenverkauf – dies ist zu tun
Ein Unternehmensverkauf erstreckt sich in der Regel über einen monatelangen Zeitraum. Daher ist es nicht ratsam, jedem Firmeninhaber pauschal zu empfehlen, alle stillen Reserven sofort aufzulösen und die damit verbundene höhere Steuerlast sofort zu tragen.
Eine transparente Dokumentation sämtlicher stillen Reserven im Rahmen des Unternehmensverkaufs zeigt die tatsächliche historische Ertragskraft der Firma angemessen auf. Nur so lässt sich der bestmögliche Preis erzielen und gleichzeitig den Offenlegungspflichten nachkommen, indem der potenzielle Käufer vollständig informiert wird.
Um die Nachvollziehbarkeit sämtlicher stillen Reserven sowie deren Bildung und Auflösung für jedes vergangene Geschäftsjahr zu gewährleisten, ist es empfehlenswert, eine Aufzeichnung der tatsächlichen Werte zum Bilanzstichtag hin aufzubewahren. Auf diese Weise lässt sich auch noch in mehreren Jahren, wenn der Unternehmensverkauf ansteht, nachweislich belegen, welche stillen Reserven in welchem Geschäftsjahr gebildet oder aufgelöst wurden.
Das Wesentlichste ist Transparenz und Nachvollziehbarkeit im Umgang mit stillen Reserven. Der Käufer sollte klare Einblicke in die tatsächlichen stillen Reserven sowie in deren Veränderung erhalten. Denn diese haben einen erheblichen Einfluss auf die Unternehmensbewertung.