Die Festlegung der richtigen Kennzahlen (Messgrössen) für einen Earn-Out ist das Herzstück der Vereinbarung. Sie definieren, wann und wie der Verkäufer seinen variablen Kaufpreisanteil erhält. Die Wahl der Messgrösse(n) hängt stark von der Branche, dem Geschäftsmodell und den spezifischen Zielen ab, die Käufer und Verkäufer mit dem Earn-Out verfolgen. Dabei gilt grundsätzlich: Die Messgrösse muss klar definierbar, nachvollziehbar, überprüfbar und idealerweise manipulationsresistent sein. Nachfolgend sind die gängigsten Messgrössen und deren Besonderheiten aufgelistet.
1. Umsatz
Definition: Die Summe der Verkaufserlöse eines Unternehmens in einem bestimmten Zeitraum.
Vorteile:
- Einfachheit und Transparenz: Die Kennzahl des Umsatzes ist in der Regel leicht zu verstehen und zu messen.
- Weniger manipulierbar (theoretisch): Im Vergleich zu Gewinnzahlen sind Umsatzdaten weniger anfällig für buchhalterische Anpassungen oder Kosteneingriffe durch den Käufer.
- Fokus auf Wachstum: Der Umsatz als Kennzahl ist dann ideal, wenn der Käufer primär am Wachstum und der Marktdurchdringung interessiert ist.
Nachteile:
- Ignoriert Profitabilität: Ein hoher Umsatz garantiert keinen Gewinn. Der Käufer könnte Umsatzziele erreichen, dabei aber unwirtschaftlich agieren , was dem Verkäufer wenig nützt.
Praxis-Tipp: Konsistente Bilanzierungsstandards verankern und Vorgaben zur Abrechnung von Umsätzen festhalten.
2. EBITDA (Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation, and Amortisation)
Definition: Das operative Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen und immaterielle Vermögenswerte. Dies ist eine Kennzahl für die operative Leistungsfähigkeit eines Unternehmens, unabhängig von Finanzierungs-, Steuer- und Investitionsentscheidungen.
Vorteile:
- Gute Abbildung der operativen Performance: Diese Kennzahl zeigt auf, wie gut das Kerngeschäft läuft.
- International anerkannt: Dies Kennzahl ist eine weit verbreitete und verständliche Grösse.
- Minimiert Einfluss von Finanzierungsstruktur: Da Zinsen und Steuern ausgeklammert sind, wird das Ergebnis unabhängig von der Käuferfinanzierung bewertet.
Nachteile:
- Anfällig für Kostenmanagement: Der Käufer könnte versuchen, Kosten zu beeinflussen (z. B. durch den Bezug von überhöhten Lohnzahlungen, die den Earn-Out schmälern).
- Ignoriert Investitionsbedarf: Abschreibungen werden nicht berücksichtigt, obwohl Investitionen notwendig sein könnten, um das EBITDA-Ziel zu erreichen (z.B. in der Maschinenbaubranche).
Praxis-Tipp: In einer Adjustment‑Liste detailliert festhalten, welche Aufwendungen/Erträge aus der Berechnung ausgeschlossen bzw. eingeschlossen werden.
3. EBIT (Earnings Before Interest and Taxes)
Definition: Das operative Ergebnis vor Zinsen und Steuern, aber nach Abschreibungen.
Vorteile:
- Berücksichtigt Abschreibungen: Diese Kennzahl gibt ein realistischeres Bild der Ertragskraft als das EBITDA, da der Wertverzehr von Anlagen (Abschreibungen) einbezogen wird.
- Fokus auf operative Effizienz: Wie gut das Unternehmen seine Betriebskosten im Griff hat.
Nachteile:
- Immer noch anfällig für Kostenmanipulation: Im Vergleich zum EBITDA ist die Kennzahl zusätzlich anfällig für die Abschreibungspolitik.
- Ignoriert Finanzierungs- und Steuerstruktur: Der Hauptzweck dieser Kennzahl ist es, die Ertragskraft eines Unternehmens aus seiner Kerntätigkeit zu beurteilen, unabhängig davon, wie es finanziert ist (Fremd- vs. Eigenkapital) oder in welcher Steuerjurisdiktion es sich befindet.
Praxis-Tipp: Fixe Abschreibungsdauern vereinbaren und ausserplanmässige Abschreibungen nur im gegenseitigen Einvernehmen zulassen.
4. Nettoergebnis / Reingewinn
Definition: Der verbleibende Gewinn nach Abzug aller Kosten, Zinsen und Steuern.
Vorteile:
- Umfassendste Messgrösse: Diese Kennzahl berücksichtigt alle relevanten Faktoren, einschliesslich der Steuerlast.
- Direkter Bezug zum Shareholder Value: Was am Ende für die Eigentümer und zur Amortisation der Übernahmefinanzierung übrigbleibt, wird als Kennzahl abgebildet.
Nachteile:
- Am anfälligsten für Manipulationen: Diese Kennzahl kann durch sämtliche Kostenpositionen sowohl als auch durch Steuerplanungen, Zinskosten (der Käuferfinanzierung), ausserordentliche Aufwendungen/Erträge oder Bilanzpolitik beeinflusst werden.
- Weniger Kontrolle für den Verkäufer: Da der Käufer die Steuer- und Finanzierungsstruktur des kombinierten Unternehmens steuert, hat der Verkäufer weniger Einfluss auf diese Kennzahl.
Praxis-Tipp: Nur verwenden, wenn der Verkäufer Mitspracherechte bei Finanzierungs‑ und Steuerentscheidungen behält oder die Kennzahl auf Pro‑Forma‑Standalone‑Basis berechnet wird.
5. Spezifische operative Kennzahlen
Definition: Individuell vereinbarte, branchenspezifische Messgrössen, die den Kern des Geschäfts abbilden und dementsprechend als aussagekräftig angesehen werden können. Dies können beispielsweise sein:
- Anzahl Neukunden / Neulizenzen (Softwareunternehmen)
- Produzierte Einheiten (Fertigung)
- Anteil an wiederkehrenden Umsätzen (Abonnementmodelle)
- Kundenzufriedenheit (gemessen durch NPS oder andere Scores)
- Erreichung bestimmter Meilensteine (z. B. Produktentwicklung, Markteinführung)
Vorteile:
- Hohe Relevanz: Diese Kennzahl misst genau das, was für den Erfolg des konkreten Geschäfts am wichtigsten ist.
- Geringere Manipulationsanfälligkeit: Oft schwerer durch buchhalterische Kniffe zu beeinflussen.
Nachteile:
- Komplexität: Schwieriger zu definieren und zu überwachen.
- Begrenzte Anwendbarkeit: Nicht für jedes Unternehmen oder jede Situation geeignet.
Wichtige Aspekte bei der Wahl der Messgrösse:
- Kontrolle: Hat der Verkäufer nach dem Verkauf noch genügend Einfluss, um die Erreichung des Ziels zu beeinflussen?
- Synergien und Integration: Wie wirken sich die Integration in die Käuferstruktur und potenzielle Synergien (z. B. gemeinsame Marketingausgaben) auf die Messgrösse aus? Hier sind oft Anpassungsklauseln nötig, um Verzerrungen zu vermeiden (z. B. «Standalone-Prinzip» für die Earn-Out-Berechnung).
- Langfristige vs. kurzfristige Ziele: Umsatzziele fördern oft kurzfristiges Wachstum, während das EBITDA sowie das EBIT eher auf nachhaltige Profitabilität abzielen.
- Definition und Audit: Jede Messgrösse muss präzise definiert werden, einschliesslich der Berechnungsmethode und der Möglichkeit eines unabhängigen Audits.
Es gibt keine «perfekte» Kennzahl. Die richtige Wahl der Messgrösse erfordert eine sorgfältige Analyse und Verhandlung. Ein gut verhandelter Earn‑Out kombiniert sorgfältig definierte Kennzahlen, die die Interessen beider Parteien widerspiegeln mit klaren Prüfungsmechanismen. So wird das künftige Wertpotenzial fair verteilt und das Risiko von Streitigkeiten minimiert.